Der Verein der FREUNDE der THEOLOGISCHEN KURSE sieht es als seine Aufgabe, die THEOLOGISCHEN KURSE in ihrer Arbeit zu unterstützen.
„Dogmatik“ – das klingt heute nicht wirklich gut. Als „dogmatisch“ werden Meinungen und Menschen charakterisiert, die sich auf bloße Behauptungen stützen und besserwisserisch der Pflicht zur Begründung ausweichen. Ist unsere Kirche noch zu retten, wenn sie das Dogma als Glaubensgrundlage verkündet und selbst der Theologische Kurs „Dogmatik“ als Kernfach hochhält? Ich gebe zu, dass ich mich nicht immer als „Dogmatiker“ vorstelle. „Systematische Theologie“, so nenne ich mein Fach. Nach innen hat sie als „Dogmatik“ die Glaubenseinsicht (intellectus fidei) zu kultivieren. Nach außen entwickelt sie als „Fundamentaltheologie“ eine zeitgemäße Glaubwürdigkeitsargumentation als Antwort auf Kritik, Einwand und Unverständnis; - und zwar mit den Mitteln der „reinen Vernunft“. Während nach außen keine Autorität (weder Schrift, Kirche noch Jesus Christus) vorausgesetzt werden kann, ist nach innen der Glauben der Kirche in Dogma, Liturgie und Frömmigkeit die vorausgesetzte Lebensform des systematischen Denkens.
„Theologie“ bezeichnet zunächst die vielfältigen Formen, wie Menschen über, zu und von Gott reden. In solchen Reden hoffen wir, dass Gott in unseren Worten selbst zu Wort kommt. Deshalb ist das zentrale Kriterium jeder Theologie, dass Gott selbst in seiner Wahrheit in unserem Reden und Tun zum Ausdruck kommt. Die darin liegende kritische Unterscheidung von menschlicher Rede und dem Wesen Gottes selbst haben seit Platon die Philosophen für sich in Anspruch genommen – und die Gottesreden der Dichter und Politiker abgewiesen. Als die frühen christlichen Schriftsteller die christliche Botschaft in bedrängter Zeit öffentlich verteidigten, stellten sie sich diesem Anspruch der Philosophie. Ja mehr noch: Sie behaupteten, die wahre Philosophie selbst zu vertreten. Das ist die Geburtsstunde dessen, was wir heute „Dogmatik“ nennen: den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens mit Argumenten vor dem Wahrheitsverständnis der Zeit in einer Sprache zu verantworten, die der andere versteht und zugleich Glaube, Hoffnung und Liebe ermöglicht.
Das Fach „Dogmatik“ aber ist nach der Reformation in allen Konfessionen mit einem schwerwiegenden „Geburtsfehler“ entstanden: die Widerlegung der anderen Seite war ihr erstes Ziel. „Dogmatik“ stiftete damit eine „Gegenidentität“: In der Negation der anderen sollte das eigene Licht heller leuchten. Aber auch in der frühesten Entwicklung müssen wir eine Schieflage benennen. Das Wort „Dogma“ kommt im Neuen Testament nur einmal vor. Es bezeichnet jenen Befehl des Kaisers Augustus, der die heilige Familie nach Bethlehem schickt (Lk 2,1). „Kaiserliche Erlässe oder Befehle“ werden auch die ‚dogmatischen‘ Entscheidungen der Ökumenischen Konzilien ab 325 genannt, die mit staatlicher Gewalt als Reichsgesetz durchgesetzt wurden. Darin liegt die unheilige Vermischung von Glauben und Gewalt – mit den bekannten verheerenden Folgen.
Erst das Zweite Vatikanische Konzil fand eine neue Form der verbindlichen Verkündigung und Bezeugung des Glaubens: als verbindliches Versprechen nach innen und nach außen, das sich allein in der Kraft der Wahrheit an die Freiheit der Menschen wendet (vgl. Dignitatis Humanae 1). So wird das Evangelium mit der Freiheit der Menschen verbunden, die nicht nur radikal anerkannt, sondern durch dieses Bekenntnis gefördert wird. Deshalb ist die heutige „Dogmatik“ einem Dialog verpflichtet, in dem die Werte des anderen entdeckt und anerkannt werden (vgl. Nostra aetate 2) und wir uns neidlos darüber freuen dürfen, wie der freigebige Gott seine Gaben unter allen Menschen aussät (vgl. Ad gentes 2;11). Licht und Schönheit der anderen stehen nicht in Konkurrenz zum Evangelium, sondern loben auf ihre andere, bisweilen fremde Weise die unermessliche Schönheit und Größe Gottes: „Deus semper maior“! In der Systematischen Theologie werden die Prinzipien und Grundhaltungen in diesem dialogischen Handeln reflektiert.
Diese Form des verbindlichen (Ver)Sprechens verweist auf die zweite Wurzel des Begriffs „Dogma“ in der Antike: die Schulmeinung. „Dogmen“ wurden damals jene Grundaussagen genannt, die eine philosophische Schule prägte. „Dogmen“ stiften dadurch Identität nach innen und Verlässlichkeit nach außen. Bedenken wir: Nur wenn Grundüberzeugungen ausdrücklich werden, können sie diskutiert und kritisiert werden. Es ist daher kein Zufall, dass sich die europäische Aufklärung an der christlichen Dogmatik entzündet und abgearbeitet hat – und nicht wenige Überzeugungen veränderte. Heute können wir dafür dankbar sein und ohne Übermut sagen: „A man‘s best friend is his dogma“. Ein „Dogma“ wird also erst gelebt, bevor es reflektiert und sprachlich ausgedrückt werden kann. Wir haben nur die Wahl zwischen unreflektierten und ausdrücklich reflektierten und damit kritisierbaren „Dogmen“.
„Dogmen“ formen jene Grundhaltung, mit der ich alle Erfahrungen meines Lebens zu integrieren suche. Die christliche Dogmatik reflektiert in diesem Sinne das gesamte christliche Leben auf seine letzten Wurzeln hin. Was ist aber, und wir beginnen jetzt schon Dogmatik zu treiben, die tragende Wurzel unseres christlichen Lebens? Es ist das Zeugnis des vorgängigen Handelns Gottes in Jesus Christus nach der Heiligen Schrift. Dieses Handeln erfahren wir vor allem als Kraft des Heiligen Geistes, der uns bewegt und alle Wirklichkeit trägt. Systematische Theologie reflektiert unter dieser Vorgabe alle Wirklichkeit (Kosmos, Mensch und Ideen) auf ihre Beziehung zu jenem Gott hin, der Ursprung („Schöpfung“) und Vollendung („Eschatologie“) aller Wirklichkeit ist und in der Geschichte Israels sich selbst definierte. Diese Bundesgeschichte legen wir Christgläubige von Jesus von Nazaret her aus, der für uns das Beispiel des vollendeten Gottesgehorsams und der Menschentreue ist.
Während die Philosophie das Suchen des Menschen nach einer letzten, alles bestimmenden Wirklichkeit aus sich selbst darstellt, geht die christliche Theologie von jenem Ort aus, an dem sich Gott selbst definiert und ausgelegt hat. Denn auf diese Weise, die wir „Offenbarung“ nennen, will er/sie auch heute von uns entdeckt und gefunden werden. Die Heilige Schrift, die Bibel, sammelt die Zeugnisse dieser höchst konfliktreichen und dramatischen Geschichte Gottes unter uns Menschen. Daher nennen wir die Schrift „inspiriert“: von Gott selbst gewollt und geleitet. Diese Schrift wird aber als Altes und Neues Testament, die sich wie Wurzel und eingepfropfter Schößling zueinander verhalten (Röm 11,17–21), in der Kirche gebildet und von allen (nicht nur in der Kirche) ausgelegt.
In der „Ekklesiologie“ wird sowohl die bleibende Struktur und gegenwärtige Ausprägung dieser Überlieferungs- und Bezeugungsgemeinschaft reflektiert als auch ihre Beziehung zu den Religionen und anderen Weltanschauungen. In der Taufe erhalten wir die „Auf-Gabe“ als Prophetinnen, Könige und Priesterinnen der Sendung Christi im Dienst am Reiche Gottes mit allen Menschen in unserem Leben Gestalt zu geben. Nur so wir die Kirche was sei sein soll: das universale Sakrament des Heils (vgl. Lumen gentium 1;48). Wir sollen nach dem Evangelium „duften“. Diesem christlichen Leben dient der ordinierte Dienst von Diakonat, Presbyterat und Episkopat, der im Dienst des Nachfolgers Petri sowohl die Garantie von Pluralität als auch Einheit der Kirche darstellt.
Doch die Kirche kann ihre Grenzen nicht fein säuberlich bestimmen (Lumen gentium 13–16). Alle haben in der Kirche daher eine Verantwortung für alle Menschen im eigenen Lebensraum. Die darin wirksame „Katholizität der Kirche“, die wir „KatholikInnen“ immer erst noch zu entdecken haben, kann in der Beziehung zu allen Getauften aufgrund der Bitte Jesu um die Einheit nur „ökumenisch“ sein (Joh 17,11). Im Blick auf andere Religionen und alle Menschen guten Willens hat das Konzil die Kirche auf den Dialog nach innen und nach außen verpflichtet. In diesem Dialog gewinnt das Verhältnis zum Judentum deshalb immer eine besondere Bedeutung, weil die Christgläubigen ihre Identität dem glaubenden Israel verdanken. Paulus ermahnt uns auch heute: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18).
Für Christgläubige gibt es einen geschichtlichen Ort, eine Person, in der Gott sein Ja zu allen Verheißungen ratifiziert hat (2 Kor 1,18–20): Jesus Christus. Deshalb ist die Auslegung der Gestalt Jesu von Nazaret, als das fleischgewordene Wort (Joh 1,14), des Exegeten Gottes (Joh 1,18) und des Bildes des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15), der gekreuzigt wurde und auferstanden ist, die Herzmitte aller christliche Theologie. Sein Evangelium mahnt uns immer zur Umkehr, weil wir in seinem Licht uns und unsere Lebensformen als zutiefst gespalten und von lebenswidrigem Bösen geprägt erkennen müssen („Sünde“). Aus dieser „Ur-Prägung“ hat uns die Hingabe Jesu in seinem ganzen Leben bis zum Tod am Kreuz erlöst und befreit. Was das bedeutet, reflektiert die „Erlösungslehre“ bzw. „Soteriologie“. Wir dürfen neue Schöpfung in Christus sein (2 Kor 5,27; Röm 8). Das darin liegende Wort der Versöhnung basiert auf dem „Ur-Dogma des Zweiten Vatikanischen Konzils“: dem Zeugnis vom universalen Heilswillen Gottes, der uns in Jesus Christus erschlossen ist und alle Menschen im Heiligen Geist mit dem Geheimnis des Todes und der Auferstehung Christi verbindet (Sacrosanctum concilium 5; Lumen gentium 16; Gaudium et spes 22; Ad gentes 7 mit dem Verweis auf: 1 Tim 2,14).
Weil alle christliche Gottesrede Rede von Jesus Christus ist, ist sie immer Rede vom Menschen, „Anthropologie“. Weil die christliche Grunderfahrung bekennt, dass der Gekreuzigte lebt, ist Christologie nicht zuerst Rekonstruktion der Vergangenheit, also Bibeltheologie und Dogmengeschichte. Vielmehr wird sie durch die Fragen angetrieben: Wo begegnen wir heute diesem Jesus Christus? Wo ruft er uns in seine Nachfolge? Wo ist heute das Reich Gottes am Wachsen, wenn auch verborgen und klein?
Die Dogmatische Prinzipienlehre, die Reflexion der Methoden- und Erkenntniswege also, weiß, dass wir hierfür nicht nur eigene Orte aufsuchen dürfen, sondern das Wagnis anderer, fremder Orte eingehen müssen. Christus ist gegenwärtig, wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind (Mt 18,20), also in allen Formen des Betens und der Liturgie. Ein besonderes Versprechen hat uns Jesus Christus in den Sakramenten hinterlassen. In ihnen will er uns auf seine Vollendung hin verwandeln und in den Dienst für sein Reich nehmen. Doch niemals ist Christus auf die Kirche oder gar den Tabernakel beschränkt. Denn auch im heiligen Brot ist Christus nicht gegenwärtig wie an einem Ort. Christus ist, nach einem schönen Wort der Teresa von Avila, „auch mitten unter den Kochtöpfen“. Weil wir Wahres und Heiliges in allen Kulturen und Religionen finden und anerkennen können, ist Christus im Geist auch dort gegenwärtig (Nostra aetate 2; Gaudium et spes 22). Aber auch hier gilt jenes Kriterium das für die Schrift entscheidend ist: das Tun der Barmherzigkeit und die Option für die Armen und Bedrängten aller Art. So lernt die Kirche sogar von jenen, die sie verfolgen (Gaudium et spes 44).
Das pilgernde Volk Gottes ist auf ihrem Weg durch die Zeit in ständigem Wandel: „In einer Höheren Welt ist es anders, aber hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben.“ Um sich auf diesem Weg zu orientieren, sollen wir nach dem Konzil die „Zeichen der Zeit“ im Licht des Evangeliums deuten (Gaudium et spes 4;11).
Die entscheidenden Transformationsmächte der Gegenwart bündeln sich in der systemischen Dynamik von Wissenschaft, Technik, Markt und Medien. In diesen hat der Mensch begonnen, sich selbst und seine Welt radikal neu zu gestalten, ja zu erfinden und radikal zu manipulieren. Deshalb ist das entscheidende Signum unserer Moderne die Legitimation einer beschleunigten Veränderung, die Veränderlichkeit aller Verhältnisse. Die daraus entstehenden Herausforderungen prägen die gegenwärtige Theologie in allen ihren Fächern, weil ihre Eigendynamik von keiner politischen Instanz mehr wirklich gesteuert werden kann.
Der wachsende Pluralismus aller Weltanschauungen und Religionen ist für die Systematische Theologie wohl die große Herausforderung. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben im Prozess Assisi (1986–2011) folgende Orientierung gestiftet: Die innerste Berufung aller wirklich glaubenden Menschen ist es, gewaltfrei für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten. Aus diesem Grund hat sich als Grundfrage der Erlösungslehre die Frage nach den Auswegen aus der Gewalt entwickelt. Für das 21. Jahrhundert wird die messianische Hoffnung der Schrift wieder ganz aktuell: ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit. In diesem Ringen sind wir aufgerufen, die Bergpredigt Jesu in allen Bereichen des sozialen und politischen Handelns als Magna Charta der Menschheit leibhaftig zu bezeugen.
Eine letzte Herausforderung stellt die spirituelle Suche nach Sinn und Lebenserfüllung angesichts der Erfahrung von Sinnlosigkeit, Verletzung und Drangsalen dar. Christliche Theologie weiß seit ihren frühesten Anfängen immer, dass sie Gott letztlich nicht aussagen kann (vgl. 1 Kor 2,9). „Dogmatik“ vermittelt kein Bescheidwissen in der Weite des Geheimnisses Gottes. „Dogmatik“ kann immer nur dazu anregen, Gott immer wieder neu zu suchen. Mit ihrer Hilfe können wir genau wissen, wo nicht gefunden werden kann. Der Prozess von Assisi sagt uns klar und deutlich: Gewalt ist kein Namen Gottes! Als Kompass stellt jede christliche Theologie letztlich stets den Weg des armen und gekreuzigten Jesus von Nazaret vor Augen, der uns auch heute lehrt, dass der Lieblingsort Gottes bei den Armen, in den Dornbüschen, den Ställen und den allernächsten Nächsten meines eigenen Lebens ist. Doch wir Getaufte suchen Gott nicht wie ein fernes unbekanntes Land, dem wir uns immer nur asymptotisch annähern könnten. Nein: Wir suchen, nach einem schönen Wort von Dorothee Sölle, als gefundene. Wir dürfen voll Vertrauen ein Leben lang immer wieder neu entdecken, dass wir von Gott schon gefunden und in seine Gemeinschaft durch die Taufe hineingenommen sind. Deshalb kann alle Dogmatik nur sagen, was in Erinnerung an Augustinus für alle Zeiten gilt: Gott finden, heißt ihn suchen, und ihn suchen heißt, schon gefunden zu sein. Dieser Mut zur ständigen Erneuerung wird getragen durch jenes Wort, das die Systematische Theologie als Stern in allen Nächten immer neu auszulegen hat: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Joh 14,6)
Univ.-Prof. Dr. Roman SIEBENROCK studierte Theologie, Philosophie und Erwachsenenpädagogik in Innsbruck und München. Er bekam 2001 die Lehrbefugnis ("venia docendi") für das Fach Fundamentaltheologie und war von 2006 bis zu seiner Emeritierung 2022 Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte sind: 2. Vat. Konzil, Karl Rahner, Koordination der fakultären Forschungsplattform "Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung". Seit vielen Jahren lehrt er bei den THEOLOGISCHEN KURSEN Fundamentaltheologie, Dogmatik und Religionswissenschaft.
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