Der Verein der FREUNDE der THEOLOGISCHEN KURSE sieht es als seine Aufgabe, die THEOLOGISCHEN KURSE in ihrer Arbeit zu unterstützen.
„Eine schöne Hochzeit!“, „Erstkommunion ist die Gelegenheit, Menschen etwas Ansprechendes zu bieten, die sonst nie in die Kirche kommen.“, „Unser Pfarrer lässt sich nichts dreinreden.“, „So viele Rituale – nichts für die Jugend.“, „Die tägliche Messe ist mir schon wichtig.“ – Solche und viele andere Stimmen zur Gottesdienstpraxis der Kirche zeigen, wie unterschiedlich Liturgie erfahren, praktiziert und beurteilt wird. Das Spektrum der Wahrnehmung ist breit: Es reicht vom punktuellen (Ausnahme-)Ereignis bis zur täglichen Gewohnheit, vom festen Ritual zum spontanen Happening, von der Konsumation klerikaler Dienstleistungen zum existentiellen Lebensvollzug. Auch über Zweck und Nutzen von Liturgie gehen die Meinungen auseinander: Erbauung, Belehrung, Sympathiewerbung, Gotteserfahrung, Gemeinschaftsgefühl …?
Immerhin: Gottesdienst hat offenkundig in jeder Lebenslage etwas zu bieten – sofern er im Leben der Menschen „ankommt“. Die Verantwortung dafür wird meist einseitig bei den „Veranstaltern“ gesucht, doch ist es der allen Beteiligten gemeinsame – „kirchliche“ – und persönlich bejahte Glaube, der gefeiert werden will. Er macht das gottesdienstliche Leben aus, mit dem sich die theologische Disziplin Liturgiewissenschaft (Liturgik) befasst: Sie fragt danach, wie der Glaube der Kirche in einem konkreten, dynamischen Feierablauf seinen Ausdruck findet – und dort umgekehrt geformt wird.
In jedem Gottesdienst wird sichtbar, hörbar und spürbar, was die Feiergemeinde von Gott und der Welt glaubt, wie sie vom Menschen denkt und was sie als ihren Auftrag versteht, wem sie vertraut und wo ihre spirituellen Zweifel und Nöte sind … Zugleich, wenn auch seltener reflektiert, prägt die Feierkultur den Glauben. Das bedeutet eine hohe Verantwortung insbesondere Kindern und Jugendlichen gegenüber.
Das Repertoire liturgischer Ausdrucksformen umfasst Worte und Handlungen (mit Elementen und Symbolen) sowie den Umgang der Versammelten miteinander: Darin findet die Begegnung von Gott und Mensch statt und verwirklicht sich die Gemeinschaft (communio) der Gläubigen mit Christus und untereinander. Diesen lebendigen Dialog zwischen Gott und seinem Volk in der liturgischen Kommunikation und Partizipation für das Glaubensleben zu erschließen ist ein Ziel liturgiewissenschaftlicher Reflexion.
Im 16. Jh. beginnt sich eine Liturgiegeschichtsforschung zu entwickeln, die sich für die Herkunft und Überlieferung kirchlicher Feiertraditionen interessiert. Liturgiewissenschaft als eigenständiges Fach universitärer Theologie gibt es dann ab dem 18. Jh. Das Nachdenken darüber, was im Gottesdienst geschieht und geschehen soll, ist freilich weitaus älter und hat sich im Lauf der Zeit im Ansatz auch immer wieder verändert: Im AT geht es um Kultordnung und Kultkritik; im NT zeigt sich ein unkultisches Verständnis liturgischer Zusammenkünfte; die Alte Kirche bedient sich symbolischer Interpretationen und vertiefender Predigten; das Mittelalter deutet allegorisch, was sonst kaum mehr verstanden wird; die Aufklärung betrachtet den Gottesdienst unter dem Aspekt der Nützlichkeit zur Belehrung des Volkes und zur privaten moralischen Erbauung; erst die historisch-kritische Methode im 19. Jh. lässt Liturgie wiederum als etwas geschichtlich Gewordenes und – gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil – daher beständig zu Erneuerndes (semper reformanda) erkennen; im Gottesdienstverständnis findet nun jene „anthropologische Wende“ (Karl Rahner) statt, die das kommunikative Handeln der ganzen Gemeinde als ursprünglichen Ort theologischer Erkenntnis und Erfahrung (locus theologicus) wiedergewinnt und ihren leiblich-sinnlichen Ausdrucksformen entsprechend große Aufmerksamkeit widmet.
Heutige Liturgiewissenschaft/Liturgik untersucht und reflektiert den Glauben der Kirche in seinen verschiedenen und wandelbaren Feiergestalten („Riten“) in Geschichte und Gegenwart. Sie arbeitet sowohl historisch-vergleichend als auch systematisch, und ihre Erkenntnisse dienen als kritischer Maßstab für die gegenwärtige und künftige Praxis. Zentral dafür ist die Stimmigkeit gottesdienstlicher Handlungen und Abläufe: Sind die verwendeten Symbole aussagekräftig und verständlich? Stimmen Worte und Handlungen überein? Sind die Handelnden glaubwürdig? Etc. – Daran entscheidet sich, ob Liturgie ihrer Grundaufgabe, nämlich als „Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (Liturgiekonstitution 10) erfahren zu werden, gerecht wird.
Das Interesse der Liturgiewissenschaft gilt dem biblisch fundierten Glaubensvollzug – und somit grundsätzlich allen theologischen Fächern. Die größte Nähe besteht zur ebenfalls strikt quellenorientierten Bibelwissenschaft sowie zur systematischen Theologie. Da Liturgie mit der ganzen Lebenswirklichkeit des Menschen zu tun hat, gehören zum liturgiewissenschaftlichen Repertoire außerdem empirische Fragestellungen (z. B. aus den Kommunikations-wissenschaften oder der Zeichentheorie) und interdisziplinäre Ansätze (v. a. aus den Human- und Sozialwissenschaften, der Kulturanthropologie und Religionswissenschaft). Die Forschung muss ihren Fragehorizont also beständig erweitern.
Von ihren Erkenntnissen profitieren – bewusst oder unbewusst – alle Gläubigen, die Gottesdienst feiern. Neben der „handwerklichen“ Fertigkeit derer, die für bestimmte Dienste ausgebildet und beauftragt oder ordiniert sind, können eine geschärfte Sensibilität für die symbolische Ausdrucksfähigkeit des Menschen und eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Feierelemente, Strukturen und rituellen Vollzüge die Wahrnehmung und Praxis jedes/r Einzelnen nachhaltig verändern. Beobachtungen artikulieren zu können erleichtert die reflektierte Auseinandersetzung und den sachgerechten Austausch – womöglich lassen sich damit auf bisher eingefahrenen Gleisen manche Weichen für die Praxis neu stellen …?
Diese größte Stärke der Liturgie – ihr Lebensbezug – ist gefährdet, wenn sie keine über den Moment hinausgehende Relevanz entfaltet, weil der Gottesdienst der Kirche als nicht ansprechend, in Sprache und Symbolik zunehmend unverständlich erfahren wird. Damit hatten freilich schon frühere Generationen zu kämpfen. Sie haben zu ähnlichen Maßnahmen gegriffen wie sie heute üblich sind: Abläufe werden „unter der Fahrt“ erklärt, Symbole verändert, (Bibel )Texte gekürzt oder weggelassen. Doch sind dies sehr kurzsichtige, höchstens momenttaugliche Strategien.
Gegen eine solche „Banalisierung“ steht immer häufiger eine Mystifizierung, in der das unverstandene „Geheimnis“ zum Selbstzweck wird: Dargeboten von (meist klerikalen) Spezialisten schlägt seine übernatürliche Schönheit die mehr oder weniger unkundigen BetrachterInnen in heiligen Bann. Dabei wird die anspruchsvolle Vorgabe der „vollen, bewussten und tätigen Teilnahme“ aller Gläubigen am Gottesdienst (vgl. Liturgiekonstitution 14 u. ö.) keineswegs erfüllt, sondern durch das Eintauchen in eine kollektive diffus-religiöse Stimmung ersetzt – ebenfalls kein neues, aber neu attraktives Modell.
Die liturgische Sprache gilt immer noch als schwierig – in den Gebetstexten wie auch in den symbolischen Gesten, vor allem, weil sie als nicht mehr „zeitgemäß“ erscheinen. Ein Grund dafür mag sein, dass die römische Liturgiesprache stark biblisch geprägt ist. Begriffe und Bilder der Bibel, die heute „welt-fremd“ geworden sind, wird man jedoch nicht einfach tilgen können, vielmehr liegt es an den Gläubigen sich mit der Urkunde ihres Glaubens (neu) vertraut machen. Zum anderen ist gottesdienstliche Sprache der Poesie vergleichbar: also eine Sprache, die nicht alltäglich ist, sondern Alltag und Leben verdichtet und so in den Horizont der biblischen Heilsgeschichte einbringt. Das geht nicht ohne Irritationen (die besondere Aufmerksamkeit verdienen), doch bei intensiverer Beschäftigung mit den Texten verliert sich die anfängliche Fremdheit. Die Mitfeiernden können also von sich aus Vorsorge treffen, indem sie der Schrift und ihrer Denkweise Vertrauen entgegenbringen und sich darauf einlassen. Umgekehrt haben alle, die offiziell im Namen der Kirche verkündigen und beten, eine doppelte „pfingstliche“ Bringschuld: die Botschaft in den vielen „Sprachen“ aller Anwesenden verständlich zu machen, umgekehrt aber heutige Sprache ins Gebet der Kirche aufzunehmen.
Das gemeinsame Priestertum der Getauften als Grundlage liturgischer Feierkompetenz ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder ins Bewusstsein gelangt: Inzwischen ist die Ausübung liturgischer Dienste durch qualifizierte „Laien“, also die „Rollenteilung“ zwischen Leitung und anderen liturgischen AkteurInnen, selbstverständlich geworden. Jenseits dieses konkreten Engagements aber bleibt die gewünschte „volle, bewusste und tätige Teilnahme“ aller Gläubigen (vgl. Liturgiekonstitution 14 u. ö.) häufig weiterhin unterbestimmt zwischen der Delegation an die Hauptamtlichen und einem mitunter recht unbedarften Umgang mit Sachgerechtigkeit, Qualitätsanspruch und liturgisch-rechtlichen Normen.
… aus dem Quell der Glaubenskraft. (GL 843) Oder noch treffender im älteren Liedtext: … die da nährt des Glaubens Kraft. – Es ist dies eine ernstzunehmende Bitte an den Geist Gottes. In der Überzeugung, dass der Glaube an einer redlichen intellektuellen Auseinandersetzung keinen Schaden nimmt, hat das Zweite Vatikanische Konzil die liturgische Bildung – die weit mehr ist als bloße Riten oder Feierkunde (ars celebrandi) – zur vordringlichen Aufgabe für angehende Kleriker und für „das Volk“ erklärt. Theologische Bildung macht im Glauben frei. Das bestätigt auch die jahrzehntelange Erfahrung im Theologischen Kurs. Sobald gewisse Stehsätze und vorgefasste Meinungen („ das war schon immer so“, „da kann man eh nichts ändern“, „ich kenne die Messe in und auswendig“) aufgegeben und selbst beste Gewohnheiten respektvoll angefragt werden dürfen, eröffnen sich neue Dimensionen der Gottesbegegnung. Oft kommt dabei die Frage, ja der Vorwurf auf, wie es denn sein könne, dass darüber in der Kirche so gut wie nie gesprochen wird.
Nicht nur die Feierroutine, sondern auch die liturgische Unbefangenheit mangels Erfahrung hat je eigene Mühen und eigenes Potential: wer „seine“ Liturgie gut zu kennen meint, mag sich durch so manche notwendige Neubewertung herausgefordert sehen; wer wenig oder gar keine Feierpraxis hat, begibt sich in eine unbekannte, aber ansprechende Welt. Im Austausch darüber gewinnen alle Teilnehmende neue Sichtweisen, Ermächtigung und Kompetenz in Sachen Feiern.
Wer den Gottesdienst der Kirche nicht als statisch und „vom Himmel gefallen“ ansieht, sondern vielmehr seine Gewordenheit sowie die Vielfalt seiner Traditionen in Geschichte und Gegenwart kennenlernt, gewinnt Kritikfähigkeit gegenüber jeder Ideologisierung einer bestimmten geschichtlichen Ausprägung, sei sie nun alt, älter oder auch ganz jung. Die Wahrnehmung jeder konkreten Feier gewinnt zudem an Tiefenschärfe, wenn es gelingt, in einem mitunter recht komplexen Ritengefüge Kernhandlungen und -symbole zu identifizieren und einzelne Elemente in ihrer Funktion und Bedeutung zu unterscheiden und in Beziehung zu setzen. Im Zusammenwirken von Verstand und Gemüt, Geist und Leib kann Liturgie als belebender persönlicher Glaubensvollzug erfasst und anderen stimmig kommuniziert werden. Wer die liturgische Tradition zu schätzen lernt, wird seine/ihre Schriftkenntnis vertiefen und so das Wort Gottes im eigenen Leben wirksam werden lassen.
Liturgie als Ort gelebter Kommunikation zwischen Gott und seinem Volk führt zur (Selbst )Erkenntnis und Förderung der vielfältigen Begabungen (Charismen) der Getauften, zur Festigung im gemeinsamen Priestertum, zur Vertiefung im Glauben und zur missionarischen Authentizität des öffentlichen liturgischen Glaubenszeugnisses in Wort und Tat. Die Kenntnis gottesdienstlicher Symbolsprache inspiriert zu zeitgemäßen Ausdrucksformen des kirchlichen Glaubens und die Geschichte der eigenen Feierkultur bietet Orientierung bei der Suche nach Antworten auf offene Fragen wie Ämtertheologie, Prioritäten in den Gemeinden, Umgang mit Frauen, Ökumene, Eucharistiegemeinschaft etc.
Und schließlich bedarf jede Gesellschaft der symbolischen Ausdrucksfähigkeit und Feierkompetenz ihrer Mitglieder in diversen Lebenslagen: vom Familienfest über die soziale Bewältigung von Katastrophen bis zur politischen Geste. Feier und Fest haben als Orte gelebter Solidarität und Integration über gesellschaftliche Grenzen hinweg großes Potential. Nicht zuletzt wird der Dialog zwischen zeitgenössischer Kultur und der christlich bezeugten, gelebten und gefeierten Kultur zur Quelle konstruktiver Kritik und zum gegenseitigen Korrektiv im Miteinander aller Menschen – ob sie nun „in die Kirche gehen“ oder nicht.
Mag. DDr. Ingrid FISCHER, geb. 1961, hat in Wien Psychologie und Humanbiologie studiert (Promotion 1984) und war danach in der Sozialberatung tätig. Nach mehrjähriger Kinderbetreuungszeit hat sie von 1995-2001 das Theologiestudium (Liturgiewissenschaft) in Wien absolviert und ihr Doktoratsstudium (Dissertation: "Die Tagzeitenliturgie an den drei Tagen vor Ostern") 2012 sub auspiciis praesidentis abgeschlossen. Seit 2001 im wissenschaftlich-pädagogischen Team der THEOLOGISCHEN KURSE, vertritt sie die Fächer Liturgiewissenschaft (Liturgik) und Kirchengeschichte und ist seit 2017 Programmleiterin der AKADEMIE am DOM. Ihr primäres Anliegen ist die für einen mündigen Glauben elementare theologische Erschließung liturgischer Ausdrucksformen in Geschichte und Gegenwart. "Überzeugt von der guten Verträglichkeit von Glaube und Erkenntnis, beschreibt das Wort ,Der Glaube verlangt nach Einsicht' (Anselm v. Canterbury) treffend mein theologisches Verständnis. Die Freude darüber, ,aus gutem Grund' zu glauben und dies auch entsprechend feiern zu dürfen, bestimmte die Wahl meines Faches (Liturgik) - eine Erfahrung, die ich im Rahmen des Theologischen Kurses gerne weitergeben möchte ..."
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