Der Verein der FREUNDE der THEOLOGISCHEN KURSE sieht es als seine Aufgabe, die THEOLOGISCHEN KURSE in ihrer Arbeit zu unterstützen.
Wie sich immer wieder zeigt, erfreut sich das Fach und Themenfeld Religionswissenschaft, also die Auseinandersetzung mit anderen Religionen, eines regen Interesses, sodass dieses Fach als „selbstverständlicher“ Teil des Theologischen Kurses erscheint. Weniger selbstverständlich ist hingegen, worin das Charakteristische einer religionswissenschaftlichen Auseinandersetzung besteht. Zum einen ist die Abgrenzung der Religionswissenschaft gegenüber anderen Disziplinen – vor allem gegenüber der Theologie – nicht eindeutig (was sich etwa darin zeigt, dass in den religionswissenschaftlichen Skripten auch explizit theologische Fragen behandelt werden), zum anderen entsteht bei manchen der Eindruck, religionswissenschaftliche Erkenntnisse seien von einer Vielzahl kontrovers diskutierter Hypothesen abhängig, als würden sich Religion und Glaube sogar ablehnend gegenüberstehen. Um das Fach „Religionswissenschaft“ angesichts mancher (möglicherweise übersteigerter) Erwartungen und kritischer Rückfragen in seiner Bedeutung für die Theologischen Kurse zugänglich zu machen, sollen hier zunächst das Selbstverständnis der Religionswissenschaft als akademischer Disziplin expliziert, dann die Methodik spezifisch religionswissenschaftlicher Arbeit charakterisiert und schließlich aktuelle Problemstellungen und Forschungsperspektiven aufgezeigt werden.
Es gibt mehrere Gründe dafür, warum „Religionswissenschaft“ in den 1870er Jahren zu einer akademischen Disziplin wurde: die Traditions- und Autoritätskritik der Aufklärung des 18. Jahrhunderts an den normativen Vorgaben der (evangelischen und katholischen) Theologie, der Kolonialismus in der Phase des „Hochimperialismus“ und die dadurch ermöglichten „Kontakte“ zu Völkern in vielen Regionen der Welt (hier sei exemplarisch die Ägypten-Expedition Kaiser Napoleons Anfang des 19. Jahrhunderts erwähnt, der immense Aufschwung der Sprachwissenschaften und der archäologischen Kenntnisse im 19. Jahrhundert sowie die Entwicklung und Ausdifferenzierung ethnologischen Wissens. Seit damals wurde das Fach immer mehr als eigenständige Disziplin etabliert, wobei sich zeigte, dass es nie die eine Religionswissenschaft gab, sondern unterschiedliche Paradigmen und Zugänge.
Religionswissenschaft entstand ursprünglich in einem Kontext, der von evolutionistischen Verstehensvoraussetzungen geprägt war: „Religion“ wurde demnach als Element einer frühen Phase der menschlichen Geschichte verstanden (und in „primitive Religionen“ und „Hochreligionen“ unterschieden), das in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften in Auflösung begriffen sei. Im Gegensatz dazu betonte das funktionalistische Paradigma, dass es zu allen Zeit so etwas wie „Religion“ brauche, um bestimmte gesellschaftliche Funktionen erklären zu können. In ähnlicher Weise gingen strukturalistische Ansätze davon aus, dass Religionen als unveränderliche und unbewusste kulturelle Ordnungen zu verstehen seien. Phänomenologische Zugänge wiederum behaupteten ein „Wesen“ der Religionen, das sie in der Erfahrung des „Heiligen“ verorteten. Semiotische bzw. interpretative Ansätze der Religionswissenschaft sahen Religionen als kulturelle Zeichen- und Symbolsysteme an, deren „Bedeutung“ es zu decodieren gelte. Postkoloniale und poststrukturalistische Interpretationen schließlich fragen nach den Macht- und Diskursformationen, die die Vorstellung von „Religion(en)“ erzeugen und als gesellschaftlich wirksame Größe zur Geltung bringen. Gerade der postkoloniale Zugang hat deutlich gemacht, dass „Religionen“ nicht einfach als Gegebenheiten anzusehen sind, sondern als diskursive Größen, die mit Bedeutung aufgeladen und als „Identität“ konstituiert werden – wie etwa die gegenwärtigen Diskussionen über „den Islam“ zeigen.
Im deutschen Sprachraum wird „Religionswissenschaft“ gleichsam als Dach über mehrere Wissens- und Forschungsgebiete angesehen: die historische Religionswissenschaft reflektiert die Genese und Entwicklung religiöser Traditionen, die systematische Religionswissenschaft setzt sich mit Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Realitäten, menschlichen Erfahrungen und religiösen Überzeugungen auseinander, vor allem in den großen Teildisziplinen Religionssoziologie (Religion und Gesellschaft), Religionspsychologie (Religion und psychische Prozesse) und Religionsethnologie (Religion und Kultur), aber auch in speziellen Fächern wie Religionsökonomie, Religionsgeographie und Religionsästhetik.
Religionswissenschaft ist nicht die einzige Zugangsweise zum Thema „Religion“; auch Religionsphilosophie und Theologie setzen sich methodisch reflektiert mit Religion auseinander. Wie das Verhältnis zwischen diesen drei Disziplinen zu verstehen sei, wird kontrovers diskutiert. Der folgende Vorschlag geht von der Überzeugung aus, dass alle drei Zugänge (Religionswissenschaft, Religionsphilosophie und Theologie) für das Verständnis von „Religion“ von unverzichtbarer Bedeutung und aufeinander angewiesen sind, aber eine jeweils eigenständige wissenschaftliche Methodik ausgebildet haben. Während a) Religionswissenschaft mit empirischen Methoden arbeitet (also historisch, archäologisch, soziologisch, psychologisch, politikwissenschaftlich, sozialwissenschaftlich, naturwissenschaftlich usw.), verfährt b) Religionsphilosophie diskursiv, das heißt mit den Argumentationsmitteln menschlicher Vernunft durch Logik, Hermeneutik und Sprachanalyse; c) (Religions-)Theologie wiederum versteht sich als responsive („antwortende“) Wissenschaft, sie begreift also „Religion“ letztlich weder religionswissenschaftlich als (rein) historisches/kulturelles/gesellschaftliches Wissensobjekt noch religionsphilosophisch als (bloß) sprachliche und begriffliche Realität, sondern als Anspruch, der zu einer Antwort („Glaube“) herausfordert: existentiell, kulturell und intellektuell.
Das Spezifikum der Religionswissenschaft gegenüber den beiden anderen Diskursen besteht nicht darin, dass sie „kritischer“ wäre, sondern dass sie nach empirischen Wissenschaftskriterien arbeitet. So untersucht etwa die Religionssoziologie mit Mitteln der quantitativen Sozialforschung den Zusammenhang zwischen religiöser Praxis und gesellschaftlichen Entwicklungen; die Religionsgeschichte setzt sich mittels archäologischer und architektonischer Vergleiche beispielsweise mit der Geschichte des Hinduismus auf Bali auseinander; oder eine Religionsethnologin erforscht mit dem Instrumentarium der teilnehmenden Beobachtung und qualitativen Interviews die Bedeutung islamischer Glaubenstraditionen im Leben von Migrantinnen und Migranten in einer britischen Großstadt. Der Faktor „Religion“ wird also in unterschiedlichen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Feldern mit empirischen Methoden untersucht. Dabei werden Religionen weder als „wahr“ anerkannt noch als „falsch“ bezeichnet, sondern schlicht als Thema historischer, sozialwissenschaftlicher oder psychologischer Forschung wahrgenommen.
Ein kritisch-konstruktives Verhältnis zwischen Religionswissenschaft und Theologie stärkt die wissenschaftliche Kompetenz und Anschlussfähigkeit beider Disziplinen. Aufgrund der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sprachen, Texten und kulturellen Traditionen des Nahen Ostens liegt ein besonderer Bezug der Bibelwissenschaften zur Religionswissenschaft nahe, aber auch praktische Theologie (Liturgie, Recht, Pastoralsoziologie) und systematische Theologie (Religionstheorien) haben ein großes Interesse an einem qualifizierten Dialog mit der Religionswissenschaft. Darüber hinaus bestehen von Seiten der Religionswissenschaft interdisziplinäre Verbindungen zu allen human-, sozial-, kultur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen, in denen es um Orientierungswissen und Fragen eines verantworteten gesellschaftlichen Lebens geht.
Die Auseinandersetzung mit Religionswissenschaft führt unmittelbar zu gesellschaftlichen Problemstellungen und globalen Herausforderungen, die die Menschen von heute bewegen. Der zentrale Nutzen dieses Fachs besteht also darin, Wissen über verschiedene religiöse Traditionen zu erlangen, Stereotypen und Vorurteile in Frage zu stellen und sich auf ungewohnte Perspektiven über „die Anderen“ – und folglich auf die eigene Tradition – einzulassen. Religionswissenschaftliche Forschung setzt sich – im Rahmen ihrer Analyse der Wechselwirkungen zwischen Religion und Gesellschaft – mit „klassischen“ Traditionen und neuen religiösen Bewegungen auseinander, mit Globalisierungsprozessen, Fragen der Entwicklung (im globalen Nord-Süd-Zusammenhang) und postkolonialen Dynamiken, mit Migration und interkulturellen/interreligiösen Dialogen, mit religiös und kulturell aufgeladenen Extremismen, mit der Genderthematik in Geschichte und Gegenwart religiöser Überlieferungen, mit dem Verständnis von Ritualen und Symbolen, mit dem Zusammenhang zwischen ökonomischen und religiösen Faktoren und nicht zuletzt mit sozialen und politischen Krisenphänomenen.
Die empirisch-kritische Rekonstruktion religiöser Traditionen hilft den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Theologischen Kurse, „Religion“ in der gesellschaftlichen Realität und in aktuellen wissenschaftlichen Debatten zu verorten. Sie stärkt die Dialog- und Diskurskompetenz der Kirche gegenüber anderen Religionen und säkularen Weltanschauungen und leistet einen Beitrag zu gesellschaftlichen Verständigungsprozessen, dessen Wert gerade „in Zeiten wie diesen“ nicht gering zu veranschlagen ist. So trägt etwa eine nüchterne religionswissenschaftliche Klärung – um ein aktuelles Beispiel zu nennen – viel zu einer differenzierten Wahrnehmung „des Islam“ bei, der durch medial erzeugte Stereotypisierungen und politische Instrumentalisierung (von allen möglichen Seiten) zu einem Monstrum stilisiert wurde, das mit der realen Geschichte und den unterschiedlichen Ausformungen islamisch-religiöser Praxis fast nichts mehr zu tun hat. Wer ernsthaft mit religionswissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden arbeitet, lässt sich nicht zu Polemik, Klischees und Apologetik hinreißen. Das heißt: Theologische Kompetenz, die mit religionswissenschaftlicher Expertise verbunden ist, stellt eine wichtige, ja notwendige Voraussetzung dar, um sich in einer religiös pluralen und religionspolitisch nervösen Welt orientieren zu können.
Das Beispiel von Kardinal Franz König (1905–2003), einem der ersten Referenten der Theologischen Kurse, kann die Bedeutung religionswissenschaftlicher Bildung wohl am besten illustrieren: Seine Kenntnis von Fremdsprachen, seine Reisen in viele Länder der Welt, seine Studien nichtchristlicher Religionen sowie vor allem seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der altiranischen Religion wiesen ihn als bedeutenden religionswissenschaftlichen Experten aus und ließen ihn gerade so zu einem Brückenbauer zwischen Menschen, Kulturen und Religionen werden – und zum Initiator eines Verständigungsprozesses, den die heutige Zeit dringender denn je benötigt.
Univ.-Prof. DDr. Franz GMAINER-PRANZL, geb. 1966, studierte Fachtheologie in Linz sowie Philosophie in Innsbruck und promovierte in Dogmatik und Ökumene (Innsbruck) sowie im Bereich Interkulturelle Philosophie (Wien). 1995 wurde er in der Diözese Linz zum Priester geweiht und ist seit 2009 Professor und Leiter des Zentrums Theologie Interkulturell und Studium der Religionen am Fachbereich Systematische Theologie der Universität Salzburg. Seit 2020 ist er auch Rektor des Bildungszentrums St. Virgil Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theologien des globalen Südens, interkulturelle Philosophie, postsäkulare Theorie sowie der Dialog mit Kritischer Entwicklungsforschung. Seit 1996 lehrt er bei den THEOLOGISCHEN KURSEN Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft.
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