Der Verein der FREUNDE der THEOLOGISCHEN KURSE sieht es als seine Aufgabe, die THEOLOGISCHEN KURSE in ihrer Arbeit zu unterstützen.
Schon in den Anfängen der THEOLOGISCHEN KURSE war im Studienprogramm ein Fach „Frömmigkeitslehre“ vorgesehen, etwas Ähnliches wurde im akademischen Lehrbetrieb erst Jahrzehnte später angeboten. Mit dem Begriff „Frömmigkeitslehre“ war ein Themenbereich umschrieben, den wir heute mit „Theologie der Spiritualität“ bezeichnen. Damit war man eigentlich den Fakultäten voraus.
Die Verschiedenheit der Bezeichnungen dieses Faches zeigt die Entwicklung in diesem Bereich der Theologie auf. Mit dem Begriff „Frömmigkeit“ fassen wir heute einzelne „Übungen“ des religiösen Lebens zusammen, wie z.B. Gebet, Meditation, und diverse Andachten. Das Wort „Spiritualität“ ist im deutschen Sprachraum erst seit den Sechziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts üblich geworden. Es wurde aus dem romanischen und englischen Sprachraum übernommen. Inzwischen ist allerdings „spirituell“ und „Spiritualität“ zu einem „Allerweltswort“ geworden, zu einem „Container-Begriff“, in dem oft alles Mögliche deponiert wird. Was ist heutzutage nicht alles „spirituell“!
Im Konzept des Theologischen Kurses ist aber nicht von Spiritualität im Allgemeinen die Rede, sondern von christlicher Spiritualität, von Theologie der Spiritualität. Hans Urs von Balthasar war einer der ersten, der diesen Begriff im deutschen Sprachraum beheimatete. Er verstand unter Spiritualität in einem allgemeinen Sinn jene praktische und existentielle Grundhaltung eines Menschen, die Folge und Ausdruck seines religiösen, ethisch engagierten Daseinsverständnisses ist, eine Durchstimmtheit des Lebens von objektiven Letzteinsichten und Letztentscheidungen her. Wenn man von dieser Umschreibung ausgeht, dann geht es der christlichen Spiritualität um das konkrete Leben der christlichen Grundberufung, die in der Taufe gegeben ist, es geht um das gelebte Ja des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Damit ist schon angedeutet, dass es bei unserem Studienfach nicht nur um einen Lern- und Forschungsbereich geht, sondern auch um eine Materie, die nahe gehen kann (und soll). In nicht wenigen Prüfungsgesprächen wurde mir des öfteren versichert, dass die Auseinandersetzung mit den Themen der christlichen Spiritualität auch für den persönlichen Lebensbereich Einsichten und Orientierungen gebracht hat, dass damit tiefer gehende Fragen und Entscheidungen angestoßen wurden.
Warum sprechen wir von Theologie der Spiritualität, nicht einfach nur von Spiritualität? Theologie bedeutet Reflexion des Glaubens, beschränkt sich aber nicht nur auf den intellektuellen Bereich. Glaube braucht Reflexion, damit das Ja des Glaubens menschlich verantwortbar ist, aber bloße Reflexion ohne personale Dimension bliebe steril, wäre ein bloßes „Glasperlenspiel“. „Es gibt Theologie nicht ohne personale Aneignung des Glaubens, und d.h. es gibt Theologie nicht ohne Spiritualität,“ formulierte der bedeutende Theologe Walter Kasper.
Spiritualität ist grundsätzlich ein Lebensvollzug mit vielen Facetten. Aufgabe einer Theologie der Spiritualität ist die Reflexion dieses Lebensvollzuges. Dieses Fach hat nicht als unmittelbare Zielsetzung eine Einübung und Unterweisung in grundlegende religiöse Vollzüge, sondern deren Reflexion, deren Durchleuchtung mit der kritischen Sonde der Theologie. Das geistliche Leben ruft nach einer „Vergewisserung“, bedarf einer „Rechtfertigung“. Wie jeder in verschiedener Form und verschiedener Intensität sich bemüht, sein Handeln und seine grundlegenden Lebensorientierungen zu reflektieren, ist auch das spirituelle Leben ein Bereich, der nach einem „Verstehen“ ruft. Analog zum Anselm’schen Motto, dass der Glaube nach Verstehen ruft (fides quaerens intellectum), könnte man formulieren: Auch die Spiritualität sucht als menschlicher Vollzug des Glaubens ein Verstehen, eine „Rechtfertigung“. Und das ist das Geschäft der Theologie. Reflexion des Glaubens schließt auch die Reflexion des Vollzugs des Glaubens ein. Sie will und soll diesen Lebensvollzug unterstützen und entsprechende Orientierung bieten.
Die Theologie der Spiritualität hat zwei Standbeine: die Heilige Schrift und die spirituelle Tradition. Leben im Geist Jesu hat immer von neuem dort Maß zu nehmen, wo uns das maßgebende Zeugnis der Geschichte Gottes mit uns Menschen begegnet, nämlich in der Bibel. Leben im Geist Jesu hat aber auch immer wichtige Impulse von jenen erfahren, die sich ernsthaft bemüht haben, so zu leben. Schon die Benediktregel verweist auf diese geistliche Tradition und empfiehlt die Lektüre wichtiger spiritueller Texte und Autoren.
Christliche Spiritualität lebt aus der Einheit mit dem dreifaltigen Gott, die uns in der Taufe geschenkt wird. Sie kann auch unter dem Stichwort Nachfolge Christi zusammengefasst werden, ein Thema das vor allem in den synoptischen Evangelien anklingt, im Johannesevangelium meist unter dem Begriff „Leben“ oder „Bleiben“ artikuliert wird. Mit Jesus sterben und begraben werden, um mit ihm aufzuerstehen, ist bei Paulus das Thema der Nachfolge. Schließlich geschieht dieses Leben mit Christus durch den Heiligen Geist. Der Terminus Spiritualität weist ja schon sprachlich auf den Heiligen Geist hin. Leben in und mit Christus ist immer Leben im Heiligen Geist. Er lehrt unterscheiden, er lehrt, den rechten Weg zu finden. Unter dem Stichwort „Unterscheidung der Geister“ hat sich eine kritische Betrachtung spiritueller Vorgänge und Übungen entwickelt, die schwerpunktmäßig im Spätmittelalter entwickelt worden ist.
Mit dem Begriff Spiritualität assoziiert man zumeist die unmittelbare Kommunikation mit dem lebendigen Gott. Das bewusste Leben in der Beziehung zu Gott, der sich uns Menschen in seinem Sohn Jesus Christus geoffenbart und der uns durch den Heiligen Geist in seine Lebenswirklichkeit aufgenommen hat, ist eine zentrale Thematik einer Theologie der Spiritualität. Die Begegnung mit Gott geschieht im Hören auf das Wort Gottes, geschieht im Antworten auf Gottes Zuwendung im Gebet. In der mittelalterlichen Spiritualität hat man von vier Stufen gesprochen, auf denen diese Begegnung stattfindet: Lesung (der Heiligen Schrift), Meditation, Gebet und Kontemplation, klassisch formuliert: „lectio – meditatio – oratio – contemplatio“. Damit sind aber nicht Stufen in dem Sinn gemeint, dass man beim Betreten der einen Stufe die anderen hinter sich gelassen hätte; keine dieser Stufen kann man überspringen. In diesem Bereich rufen viele Fragen und Erfahrungen nach einer theologischen Reflexion, z. B. die Verträglichkeit von Formen der Meditation aus dem außerchristlichen Raum mit der christlichen Tradition der Meditation – oder Fragen zum Bittgebet und der Verheißung seiner Erhörung.
Zur christlichen Spiritualität gehört aber nicht nur die unmittelbare Beziehung des Getauften zu Gott, sondern auch die mitmenschliche Beziehung. Gottesliebe und Nächstenliebe bilden eine Einheit. Das ist ein wesentliches Elemente der Verkündigung Jesu, das konkret wird im Vergeben und Verzeihen, auch im Ertragen des Nächsten. Wo diese Kommunikation mit dem Nächsten, mit den Nächsten gestört ist, ist auch die Kommunikation mit Gott beeinträchtigt.
Ein weiteres Thema der Spiritualität ist die „sogenannte“ Weltaufgabe der Christinnen und Christen, wie sie das 2. Vatikanische Konzil in seinen Ausführungen über die Berufung der Laien, besonders in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ herausgehoben hat. Die Welt ist der Bereich, in dem unser Leben sich ereignet, es ist die Aufgabe, die uns gegeben ist. Wenn es Zeiten gab, in denen die „Weltflucht“ - verstanden als Flucht aus der sündigen Welt – das Ideal war, gilt es, die Welt in der wir leben, als Aufgabe, als Herausforderung wahrzunehmen. Wir Christen sollen wie ein Sauerteig die Welt, die Gesellschaft mit dem Geist Christi durchformen und umgestalten.
Mit der Weltaufgabe und auch mit dem Dienst am Nächsten ist ein Problem verbunden, das mit dem Stichwort „Armut“ beschrieben werden kann. Wie sind die Nachfolgeworte über die Aufgabe von Besitz zu verstehen? Wie geht der Jünger des Herrn verantwortungsvoll mit seinem Hab und Gut um?
Der/die Getaufte ist Christ, aber Christ-Werden ist eine beständige Aufgabe. Dem Ideal können wir uns nur schrittweise annähern, Haltungen müssen eingeübt werden, Schwierigkeiten und Widerstände müssen überwunden werden. Das nennt man Askese, auch das ist ein Thema der Theologie der Spiritualität. Die frühen Christen haben vom „neuen Weg“ (vgl. z.B. Apg 9,2) gesprochen, um das Spezifische ihres Glaubens und ihres Lebens zu artikulieren. Da geht es aber nicht nur um das Mühen des Menschen, sondern auch um das „Erleiden“ in einem umfassenden und vielgestaltigen Sinn. Die Frage nach dem Warum des Leidens stellt sich auch der christlichen Spiritualität.
Das bewusste Leben in der Gemeinschaft der Kirche ist ebenfalls ein Thema einer Theologie der Spiritualität. Denn die Taufe bedeutet nicht nur den Beginn einer individuellen Gottesbeziehung, sondern auch Eingliederung in die Gemeinschaft der Kirche.
Abschließend kann man die Frage stellen: Wozu scheint in einem theologischen Studienprogramm der Themenbereich Spiritualität auf? Welchen Nutzen soll dies den Teilnehmern bringen? Wenn Theologie Reflexion des Glaubens ist, dann darf sich diese Auseinandersetzung nicht nur auf einer theoretischen Ebene abspielen. Glaube ist das Ja des ganzen Menschen auf Gottes Zuwendung und Offenbarung, auf seine Selbstmitteilung (um mit Karl Rahner zu sprechen). Eine wichtige Dimension dieser Antwort ist Spiritualität. Eine Theologie der Spiritualität will diese umfassende persönliche Antwort auf Gottes Wort, auch in den einzelnen spirituellen Vollzügen bedenken.
Josef WEISMAYER war Professor für Dogmatische Theologie und Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Seit 1967 unterrichtet er diese beiden Fächer auch bei den THEOLOGISCHEN KURSEN. Er war in die Erstellung des neuen Gebet- und Gesangbuchs maßgeblich eingebunden, dem er einen differenzierten Gebrauch im Sinne der konziliaren Reform der Liturgie zuspricht.
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