Kontroverse Diskussion rund um "enthauptete" Linzer Marien-Skulptur
Wien, 19. September 2024 | Anfang Juli sorgte die "Enthauptung" einer Figur im Linzer Mariendom für internationales Aufsehen. Unbekannte hatten offenbar an der Darstellung einer gebärenden Maria Anstoß genommen und ihr den Kopf abgesägt. Erst langsam sind die Diskussionen rund um diesen Vandalismusakt abgeklungen. Die Frage indes steht weiterhin im Raum, ob die Darstellung Mariens angemessen ist bzw. wie es um die Ambiguitätstoleranz im christlichen Raum bestellt ist – und inwiefern Maria heute überhaupt noch zum christlichen "Role Model" taugt.
Anlass genug für die AKADEMIE am DOM, dieser Diskussion über die Skulptur "Crowning" der Künstlerin Ester Strauß mit einer hochkarätigen Podiumsveranstaltung Raum zu geben. Und so diskutierten am Mittwochabend der Wiener Kulturwissenschaftler Prof. Thomas Macho, die Linzer Architekturhistorikerin Prof. Anna Minta, die Linzer Theologin Martina Resch, die Linzer Kirchenhistorikerin Prof. Ines Weber sowie die Hebamme Elisabeth Schindegger über kunst- und kirchengeschichtliche, spiritualitätsgeschichtliche, aber auch theologische Aspekte der ungewöhnlichen Darstellung Mariens.
Die Hebamme Elisabeth Schindegger erläuterte dabei zunächst, dass der Begriff "Crowning" einen ganz besonderen Zeitpunkt der Geburt bezeichnet, an dem der Kopf des Kindes geboren wird, aber das Kind insgesamt noch im Mutterleib steckt. Es sei dies "ein Moment zwischen den Welten", so die Hebamme, der von manchen auch als "transzendenter, heiliger Moment" empfunden und beschrieben werde. Die Darstellung der Linzer Figur zeige diesen Moment zugleich in einer "königlichen" Haltung bzw. Gebärposition. Dies zeige einen "extrem kraftvollen Moment", in dem deutlich werde, "wie viel Kraft in den Frauen liegt", so Schindegger. Um so unverständlicher sei ihr, wie man diese Skulptur als abstoßend und anstößig erachten könne.
Vandalismusakt verweist auf dunklen Schatten der Mariologie
Auf das "Empowerment", das aus dem Kunstwerk spreche, verwiesen in ihren Beiträgen auch Anna Minta und Martina Resch, die zudem beide mit der Ausstellung der Figur befasst waren bzw. Mitinitiatorinnen von "DonnaStage" im Rahmen des Projekts "Frauenbilder im Mariendom" sind. Die Figur – die im übrigen nicht im Sakralraum des Domes ausgestellt gewesen sei, sondern in einem Nebenraum – sei Teil eines diskursiven Prozesses, in dem die Darstellung von Frauen im Mariendom analysiert wurden, so Minta. Dabei habe sich gezeigt, dass dieses "Bildprogramm äußerst eindimensional" sei und Maria meist als entrückte, tugendhafte Mutter dargestellt werde. "Uns ging es darum zu zeigen, dass das Leben der Maria vielfältiger und facettenreicher ist" und auch am Beispiel Mariens aufzuzeigen, wie sehr der weibliche Körper "über Jahrhunderte" ein Spielball "männlich konstruierter Tabus" war, so Minta. Nur durch eine solche Dekonstruktion könne Maria auch heute noch "anschlussfähig" bleiben und Menschen etwas sagen.
Als "schockierend" beschrieb Resch die vielen Kommentare im Zuge des Vandalismusaktes, die die Darstellung Mariens "in den Bereich der Perversion und Pornografie" rückten. Dies zeuge von einer enormen "patriarchalen Sexualisierung" und davon, dass eine heute eher am theologischen Rande betriebene Mariologie offenbar zum Ort einer anti-freiheitlichen, anti-emanzipatorischen Theologie geworden ist, in der sich patriarchale Tendenzen bis heute hielten und wirkten. Dem Vorwurf der Schamlosigkeit der Darstellung trat Resch zudem mit dem Hinweis entgegen, dass die Ausstellung Maria bewusst mit dem Rücken zum Betrachter positionierte – erst ein Herumgehen des Betrachters ermöglichte den Blick in den Schoß. Diesem Anblick müsse sich kein Besucher notwendigerweise aussetzen; es oblag jedem einzelnen, hier seine Schamgrenze zu finden, so Resch.
Wie viel Vielfalt hält der Glaube aus?
Die Linzer Kirchenhistorikerin Ines Weber verwies auf die Vielfalt an zum Teil einander widersprechenden Frömmigkeits- und Spiritualitätstraditionen von der Antike bis in die Gegenwart. Gerade im Blick auf die Darstellung und auch symbolische Aufladung Mariens als Jungfrau, Herrscherin oder Mutter sei die Spiritualitätsgeschichte enorm bunt. Diese Vielfalt gelte es auch heute auszuhalten – und stets im Auge zu behalten, dass Maria die Funktion des "Verweises auf die Göttlichkeit des Sohnes" und des "Vorbildes eines christlichen Lebens" für alle habe.
Der Wiener Kulturwissenschaftler Thomas Macho nahm diesen Gedanken Webers auf und ergänzte diesen mit dem Hinweis, dass es bei aller Pluralität dennoch wichtig sei, die Wahrheitsfrage zu stellen: schließlich zeige die Geschichte der Religionskriege, dass es eben nie so war, dass die Positionen einfach nebeneinander standen, sondern stets zu Konflikten führten. Eindringlich zeigte Macho zudem auf, inwiefern politische und gesellschaftliche Entwicklungen immer auch einen Spiegel in kulturellen und religiösen Bildern und Mythen fanden. So sei die Mütterlichkeit Mariens und ihr "Aufstieg zu einer Quasi-Göttin" nicht zufällig im 14. Jahrhundert zu verorten, in dem die Pest in Europa wütete und dies auch neue Bildsprachen hervorbrachte.
Abschließend ließ Resch durchblicken, dass der Vandalismusakt nicht das letzte Wort darstellen dürfte: Die Künstlerin habe die Marien-Skulptur wieder zu sich ins Atelier genommen und "versorgt derzeit ihre Wunden". Zu einem späteren Zeitpunkt soll die Skulptur dann nach Linz zurückkehren und – voraussichtlich in einem anderen Rahmen und begleitet von einer öffentlichen Debatte bzw. einer Veranstaltung – wieder gezeigt werden.