Zuhause in einer Kirche, in der ich geistlich wachsen kann
Wie lange lehren Sie schon bei den Theologischen Kursen?
Ich lehre bei den Theologischen Kursen seit Februar 2019. Welches Fach tragen Sie bei den Theologischen Kursen vor? Ich unterrichte im Fach Kirchengeschichte.
Was ist Ihnen im Theologischen Kurs in Ihrem Fach besonders wichtig?
Die im Kursprogramm vorgesehene Stundenzahl reicht nicht aus, um die Geschichte der Ausbreitung und Ausformung des Christentums im Zuge der letzten zweitausend Jahre zufriedenstellend zu vermitteln. Deshalb ist es mir ein Anliegen, alle Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer für das Fach Kirchengeschichte zu begeistern und Ansporn zu geben, das Wissen über die kirchgeschichtlichen Ereignisse, Entwicklungen und deren Akteure (darunter viele Frauen) selbständig durch Privatlektüren zu vertiefen. Es macht sicher Freude, wenn wir wissen, wann, wie und warum eine bestimmte christliche Kirchentradition entstanden ist; welche christlichen Kirchentraditionen es überhaupt gibt und wieso es zu Spaltungen kam. Ebenso aufregend ist es, wenn wir in der Familie, im Freundeskreis oder in der Pfarrgemeinde erklären können, wann, wo und warum das allererste Kirchenkonzil einberufen wurde, was daraus resultierte und was wir erhoffen, indem wird dessen 1700-Jahre Jubiläum 2025 feiern. Dazu kommt noch ein Anliegen, nämlich stets daran zu erinnern, dass die Verfolgung der Christen nicht vorbei ist: Die Zahl der Menschen, die wegen ihres christlichen Glaubens leiden und diskriminiert werden, nimmt leider nicht ab.
Haben Sie selbst beim Lehren im Theologischen Kurs auch neue Einsichten gewonnen?
Selbstverständlich! Vorbereitung auf Vorlesungen, Darstellung komplexer Sachverhalte in einfacher und verständlicher Sprache und Beantwortung von Fragen, über die ich noch nie oder nur selten nachgedacht habe – all das führt zwangsläufig zur Änderung des eigenen Blickwinkels und folglich zu neuen Einsichten. Bis vor kurzem war mir nicht bewusst, dass die Religionspolitik Kaiser Josephs II. weit nach Galizien hineinreichte und dass auch in meiner Heimatstadt Lwiw zahlreiche Frauen- und Männerklöster aufgelöst wurden. Denn alle Klöster, deren Mönche sich nicht für die Bildung der Bevölkerung, die Gesundheitsfürsorge oder die öffentliche Wohltätigkeit einsetzten, sollten sofort geschlossen werden.
Welche Erfahrung bei den Theologischen Kursen haben Sie in besonders guter Erinnerung?
Ich freue mich jedes Mal, wenn bei der Prüfung ein gutes kompetentes Gespräch gelingt. Das andere, was ich in besonders guter Erinnerung habe, ist die große Empathie, die ich seitens der Kursteilnehmer: innen in den ersten Monaten der flächendeckenden russischen Invasion in die Ukraine erfahren habe. Nach dem Vorlesungsplan musste ich damals über Religionskonflikte, Bauernkriege und den 30-jährigen Krieg in Europa erzählen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich das Ausmaß der Gewalt in der Vergangenheit und in der Gegenwart nicht mehr aushalten konnte. Als die Vorlesung zu Ende war, hörte ich eine Menge Worte der Unterstützung, wofür ich sehr dankbar bin!
Welche theologische Frage beschäftigt Sie zurzeit am intensivsten?
Im Moment kann ich mir keinen Lebensbereich vorstellen, in dem wir uns den Herausforderungen des russisch-ukrainischen Krieges entziehen können. Theologie ist hier keine Ausnahme. Ich frage mich oft: Welchen Wert hat meine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit Fragen über die Gottebenbildlichkeit und die unantastbare Würde aller Menschen befasst, wenn ich schweigend zuschaue, wie das göttliche Bild und die Würde des Menschen in der Ukraine brutal angegriffen werden? Oder: Wenn ich mich gegen die Lieferung von Waffen an die Ukraine ausspreche, um Frieden zu schaffen, und damit jedoch vierzig Millionen Ukrainern das Recht auf Verteidigung verweigere und sie zum Tod verurteile, bin ich dann noch Christin und Theologin guten Willens und Gewissens? Bin ich denn nicht wie jene, zu denen Christus sagte: „Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Diese Tochter Abrahams aber, die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt, sollte am Sabbat nicht davon befreit werden dürfen?“ (Lk 13,15-16)
Von welcher Theologin /welchem Theologen haben Sie am meisten gelernt?
Es gibt sehr viele gelehrte Männer und Frauen, von denen ich viel gelernt habe, und es gibt noch viele, deren theologisches Gedankengut ich noch studieren muss.
Ihre aufregendste Bibelstelle?
Als gebildete Theologin versetze ich mich oft in die Lage der biblischen Schriftgelehrten, die von Jesus Christus scharf kritisiert wurden. Ich frage mich, ob ich angesichts meines Status und theologischen Wissens in der Lage gewesen wäre, die Frohe Botschaft zu erkennen; ob ich den Mut gehabt hätte, die festen Grenzen meiner persönlichen und gemeinschaftlichen religiösen Erfahrung zu durchbrechen und dem Ruf des Propheten aus Galiläa zu folgen. Welches Buch lesen Sie gerade? Ich lese mehrere Bücher gleichzeitig, die sich je nach literarischer Gattung unterscheiden.
Welche Musik hören Sie gerne?
Ich bin offen auch für verschiedene Musikstile, egal ob es sich um Mozart, Falco oder liturgische Gesänge handelt. Ich würde gerne endlich mal zu einem U2-Konzert gehen!
Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?
Ich mag wandern und lesen. Bei Gelegenheit gehe ich gerne ins Kino.
Wo fühlen Sie sich kirchlich zu Hause?
Wenn ganz kurz gesagt, dann: Ich fühle mich in einer Kirche zu Hause, in der ich geistlich wachsen kann, in der der Geist der Gemeinschaft gepflegt wird, in der die Menschen einander helfen und in der sie zur Ehre Gottes schön singen.
Mit wem würden Sie gerne einmal einen ganzen Tag verbringen?
Mit meinem Vater!