Gott und Vielfalt
Die christliche Theologie von dem dreieinen Gott bietet eine spannende Möglichkeit, Vielfalt in Gott selbst zu denken und diese Vielfalt als Konstitutionsgrund der Einheit Gottes zu begreifen. Hat die Vielfalt aber einen bleibenden Wert in Gott, so kann auch die Vielfalt in der Schöpfung in ihrer Dignität anerkannt werden. Wichtig ist es hierfür, zu verstehen, auf welcher Basis Vielfalt in Gott als Konstitutionsgrund der Einheit gedacht werden kann, um zu überlegen, ob und unter welchen Umständen diese Basis auch innerweltlich zur Geltung gebracht werden kann. Denn natürlich muss man äußerst vorsichtig dabei sein, Spekulationen über das innergöttliche Leben auf geschöpfliche Verhältnisse zu übertragen. Von daher sollten wir nicht vergessen, dass die dreieine Gotteslehre in Erfahrungen der frühen christlichen Gemeinde mit dem Auferstandenen gründet.
Ausgangspunkt: Jesus von Nazaret
In Kurzform lässt sich dieser Ausgangspunkt so rekonstruieren: Die Begegnung mit Jesus von Nazaret fordert seine Jüngerinnen und Jünger schon zu seinen Lebzeiten dazu heraus, in ihm den Weg zu Gott und seine Zusagewirklichkeit an uns zu erblicken. Der Osterschock verstärkt diese Herausforderung so stark, dass es unabweisbar scheint, in ihm Gott selbst zu erkennen. Damit steht der jüdische Monotheismus in Frage. Um angesichts der Ungeheuerlichkeit der Selbstgegenwart Gottes in Jesus nicht in den Polytheismus abzurutschen, war es dem Christentum deshalb von Anfang an äußerst wichtig, seine Verschiedenheit zu Gott nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei kann das christliche Bekenntnis daran anknüpfen, dass bereits Jesus selbst größten Wert darauf legte, die restlose Verschiedenheit zu Gott zu wahren. Man denke nur daran, wie deutlich er die Aussage des reichen Jünglings zurückweist, als guter Meister bezeichnet zu werden, weil Gott allein als gut bezeichnet werden dürfe (Mk 10,18). Offenbar war für Jesus völlig klar, dass er einerseits Gottes Zuwendung zur Welt zur erfahrbaren Wirklichkeit macht und das Reich Gottes mit ihm anbricht, er aber deswegen nicht unterschiedslos mit Gott in eins gesetzt werden darf.
Die Kirche hat deshalb schon früh nach einer Möglichkeit gesucht, wie die Selbstidentifikation Gottes in Jesus von Nazaret mit seiner bleibenden Verschiedenheit von Gott zusammengedacht werden kann. Im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass ein solches Zusammendenken nur dann möglich ist, wenn die Verschiedenheit einen bleibenden Ort im Wesen Gottes hat. Ja, in gewisser Weise kann man sagen, dass die Verschiedenheit zum Wesensgrund des Seins Gottes wurde. Diesen Gedanken gilt es im Folgenden genauer zu erklären, indem wir uns der klassischen Gestalt der christlichen Lehre vom dreieinen Gott zuwenden.
Vater und Sohn im metaphysischen Sinne
Das innertrinitarische Vatersein Gottes wird bei Thomas von Aquin und in der gesamten patristischen Tradition nicht an bestimmten Eigenschaften festgemacht, die das Vatersein ausmachen, sondern allein an der Hervorbringung von Sohn und Geist. Der Sohn ist dem Vater also nicht irgendwie verwandt, und es bestehen nicht gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihnen. Vielmehr soll die Rede von der Zeugung des Sohnes aus dem Vater verdeutlichen, dass Vater und Sohn aus demselben Wesen sind. Im Sohn bekommen wir es in heilsamer Weise mit Gott zu tun und nicht nur mit einer geschöpflichen Wirklichkeit. Zugleich soll aber auch gesagt sein, dass Vater und Sohn bei aller Wesensgleichheit restlos verschieden sind. Denn der Sohn ist, insofern er Sohn ist, eben restlos nicht der Vater. Am Sohnsein ist nichts Vaterähnliches.
Um diese Überlegung zu verstehen, ist es wichtig, den Begriff von allen biologischen Assoziationen zu reinigen und ihn als rein metaphysische Beziehungsaussage zu verstehen. Vater und Sohn sind nicht Teil einer Familie, deren Mitglieder sich in vielem ähnlich sind. Sie stehen für eine Beziehungsaussage, die restlose Verschiedenheit dadurch als Einheit denkt, dass die Verschiedenheit darin aufgeht, Beziehung zu sein.
Gerade dadurch, dass der Sohn eben nichts anderes ist als Sohn und damit ganz und gar der vom Vater Herkommende und der vom Vater Verschiedene, ist er Beziehungspol in einer Differenz-Einheit. Einheit wird hier durch bleibende Verschiedenheit gedacht, indem sich die Verschiedenheit durch Beziehung vollzieht. Die Beziehung ist also nicht etwas nachträglich die Verschiedenheit mit der Einheit Versöhnendes, sondern sie ist in gleichem Maße Konstitutionsgrund der Einheit und der Verschiedenheit. Indem der Sohn nicht danach strebt, der Vater zu sein, sondern durch seine Selbstunterscheidung auf ihn verweist, wird sein Beziehungsein Ausdruck der relational strukturierten Einheit Gottes, ohne aufzuhören, Grund seiner Besonderheit und Andersheit zu sein.
Entfaltung der Trinitätslehre
Wie der Sohn ist auch der Heilige Geist eine Gestalt der Zuwendung des einen Gottes, der sein Dasein in einer genauso zu verstehenden Differenz-Einheit mit Gott vollzieht. Sohn und Geist gehen also immer schon in unterschiedlicher Weise aus dem Vater hervor, traditionell gesprochen in Hauchung und Zeugung. Die drei Personen in Gott werden in der klassischen christlichen Lehre also so charakterisiert, dass man nur etwas über die Beziehungen zwischen ihnen erfährt und nichts über sie selbst. Wie die Personen je für sich sind und wie man sie als solche definieren kann, bleibt unklar. Oder genauer gesagt: Die Personen sind für sich selbst offenbar gar nichts, sondern sie existieren nur voneinander her und aufeinander hin. Sie erscheinen lediglich als Instanzen, die ein Beziehungsgeschehen ermöglichen und strukturieren, in dem sie gänzlich aufgehen. Das durch diese Instanzen strukturierte Beziehungsfeld ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihm restlose Verschiedenheit jeweils ganz und gar als Beziehung gedacht wird.
Alle trinitarischen Überlegungen führen in der Tradition zu einem letzten, alles zusammenfassenden Grundbegriff, nämlich dem der Perichorese, der das Ineinandersein und die gegenseitige Durchdringung der göttlichen Personen zum Ausdruck bringt. Gott ist also gemäß der Trinitätslehre durch eine differenzierte Form von Relationalität strukturiert. Vereinfacht könnte man auch sagen: Gott ist Beziehung. Er ist ein beziehungsreiches Geschehen, pulsierendes Leben, relational strukturierte Dynamik, Kraftfeld der Liebe.
Es kommt also alles darauf an, Gott nicht zuerst als ein Wesen zu denken und dann zu überlegen, wie sich dieses Wesen in verschiedenen Gestalten artikulieren kann. Vielmehr gilt es, die Beziehung als tragenden Grund des Daseins und insofern das Ursprüngliche zu denken, und Gottes Wesen aus den ihn strukturierenden Beziehungen heraus als Liebe einsichtig zu machen. Die einzelnen Personen sind dann jeweils als Bedingung der Möglichkeit der jeweiligen Relationen gedacht und kommen nur in dieser Funktion näher in den Blick.
Inklusion durch Kultivierung von Verschiedenheit
Versucht man, Lehren aus dem bisher Gesagten für das Themenfeld der Inklusion zu ziehen, so könnte man sagen, dass Vielfalt dann kein Hindernis für Inklusionsbemühungen darstellen sollte, wenn sie in Beziehungen aufgefangen und kultiviert wird. Diese Kultivierung hätte nicht etwa die Aufgabe, die Verschiedenheit zu minimieren oder zu zähmen, sondern sie müsste das Ziel verfolgen, die Verschiedenheit zum Grund von Kommunikation und Beziehungefügen zu machen. Inklusion müsste also Wege suchen, wie Vielfalt dadurch das menschliche Zusammenleben bereichern kann, dass die Verschiedenheit als Reichtum kultiviert und zur Grundlage von Beziehung wird.
Zumindest inspiriert die trinitarische Gotteslehre dazu, einen solchen Gedanken ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Denn so wie die Trinitätslehre eigentlich nur verständlich machen will, wie wir durch den Menschen Jesus von Nazaret und durch die Kraft des Geistes Gottes mit Gott selbst zu tun bekommen, so ist es Aufgabe der Kirche, zeichenhaft die Selbstzusage Gottes an die von ihm restlos verschiedene Welt auszudrücken. Ohne sich anzumaßen, Gottes Wirklichkeit kopieren zu können, wäre im Handeln der Kirche also darauf zu achten, dass sie Gottes unbedingte Zusage an den Menschen in seiner jeweiligen Einzigartigkeit ebenso zum Ausdruck bringt wie Gottes Herausforderung an den Menschen, in seiner Besonderheit, diese zur Grundlage des liebenden Zugehens auf den Nächsten zu machen.
Ich bin nicht sicher, ob dieser Zugang zur Inklusion bereits konsequent genug unsere theologischen und pädagogischen Konzepte inspiriert, so dass ich wenigstens versuchsweise deutlich machen will, welche Konsequenzen sich aus diesen Überlegungen ergeben könnten. Dafür wähle ich zwei Beispiele, die mich schon seit längerem bewegen und die mir gegenwärtig noch nicht ausreichend in die mir bekannten Inklusionsbewegungen hineingeholt zu sein scheinen.
Zur Inklusion Gehörloser
Gehörlose befinden sich derzeit unter einem doppelten Integrationsdruck, der jeweils nicht ihre Verschiedenheit zur Grundlage von einem Beziehungsangebot macht, sondern die Tilgung ihrer Verschiedenheit als Voraussetzung von Integration erscheinen lässt. Zum einen wird von Gehörlosen verlangt, ihre Gehörlosigkeit operativ in Schwerhörigkeit verwandeln zu lassen. War diese Entwicklung anfangs freiwillig, ist inzwischen ein erster Gerichtsprozess anhängig, in dem ein gehörloses Elternpaar wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt wird, weil sie ihrem ebenfalls gehörlosen Kind kein Cochlea-Implantat (CI) einsetzen lassen wollen.
Dabei gibt es eine Reihe von nachvollziehbaren Gründen für die Weigerung dieser Eltern. Denn die operative Einsetzung eines CI führt keineswegs immer zu den versprochenen Hörerfolgen und kann auch schwere Entwicklungsstörungen der nun nicht mehr gehörlosen Kinder zur Folge haben.
Zudem wird die Kommunikation der gehörlosen Eltern mit ihrem Kind erschwert, weil es ihnen durch ihre Umwelt fast unmöglich gemacht wird, dem eigenen Kind die Gebärdensprache als Muttersprache beizubringen. Denn Ärzte, Lehrer und Sozialarbeiter versuchen leider immer noch allzu oft, zu erreichen, dass implantierte Kinder von Anfang an allein die Lautsprache zur Grundlage ihrer Entwicklung machen. Statt zu erkennen, dass eine bilinguale Erziehung die Fähigkeiten in der Ausbildung der Lautsprache sogar steigern würde und dass man eine Fremdsprache erst dann richtig lernen kann, wenn man die eigene Muttersprache perfekt beherrscht, wird immer wieder der Eindruck erweckt, als ob die Gebärdensprache keine vollgültige Sprache sei und als ob sie die Entwicklung der Lautsprache behindere. Zum anderen werden durch die gegenwärtigen Inklusionsbemühungen immer mehr Gehörlosenschulen aufgelöst und die gehörlosen Kinder integrativ beschult. Dabei waren die Gehörlosenschulen bisher für viele von ihnen der einzige Ort, an dem sie die Kompetenzen in ihrer Muttersprache perfektionieren und sich in ihrer besonderen Identität entfalten konnten. Denn viele von ihnen lernen in ihrem Elternhaus keine Gebärdensprache und erleben erst in der Schule, wie mühelos sie in der Gebärdensprache kommunizieren können.
Statt Gehörlosen also Raum und Entfaltungsmöglichkeiten zu geben und von ihren besonderen Fähigkeiten zu profitieren, die einfach schon dadurch gegeben sind, dass sie durch die fehlende Ablenkung durch den Hörsinn die anderen Sinne tiefer ausprägen, kommen sie in unseren gegenwärtigen Inklusionsbestrebungen eigentlich nur als Benachteiligte vor, denen wir ermöglichen wollen, so zu werden wie wir.
Inklusion braucht hier die Einsicht, dass Verschiedenheit nicht automatisch mit einem Defizit gleichgesetzt werden darf, sondern stattdessen Beziehungschancen und neue Wahrnehmungen der Wirklichkeit eröffnet. So sehr das in der Theorie der Inklusion erkannt wird, so wenig kann ich bisher in der Inklusion Gehörloser die politische Fantasie erkennen, wie die Gehörlosen als Reichtum für unsere Weltwahrnehmung behandelt und in ihrer Besonderheit gestärkt werden.
Natürlich muss diese Stärkung nicht bedeuten, Gehörlosen die Möglichkeit eines operativen Eingriffs zur Beendigung ihrer Gehörlosigkeit zu nehmen, wenn sie sich in Freiheit dazu bestimmen, einen solchen Identitätswechsel vollziehen zu wollen. Aber die Aufgabe einer inklusiven Gesellschaftspolitik kann es meines Erachtens nicht sein, Uniformität zu erzwingen und die in der Schöpfungsordnung liegende Vielfältigkeit des Menschseins auf eine Norm hin zu verändern. Trinitarisches Denken kann uns hier ermutigen, auch da nach Beziehungen zu suchen, wo uns die Ähnlichkeit als Anknüpfungspunkt für Beziehung fehlt.
Den Reichtum syrisch-orthodoxen Christentums entdecken
Unter den Flüchtlingen vor dem Terror des IS befindet sich eine bisher in unserer Politik viel zu wenig beachtete Minderheit, die in unseren Inklusionsbemühungen sträflich vernachlässigt wird. Während wir nach viel zu langem Zögern endlich damit begonnen haben, den Islam als Teil Deutschlands anzuerkennen und in unserem Bildungssystem Räume für Islamische Theologie und Islamischen Religionsunterricht zu schaffen, fehlt bisher ein vergleichbares Bemühen im Blick auf die geflüchteten orientalischen Christen.
Besonders dramatisch scheint mir hier die Lage der syrisch-orthodoxen Christen zu sein. Ging im Gefolge des Genozids im Osmanischen Reich vor 100 Jahren bereits ein Großteil ihres ursprünglichen Siedlungsgebiets verloren, ist jetzt auch Syrien selbst für viele unbewohnbar geworden. Auf diese Weise besteht die reale Gefahr, dass der Reichtum aramäischer Kultur im Nahen und Mittleren Osten nahezu zum Verschwinden gebracht wird. Damit droht nicht nur der Verlust der Sprache Jesu, sondern auch der Kultur, in deren Koordinaten sich in der Spätantike ein einzigartiges Miteinander von Judentum, Christentum und Islam entwickelt hat, von dem wir für unser gegenwärtiges Miteinander der Religionen viel zu lernen hätten.
Viele der aus der Türkei und Syrien geflüchteten Christen leben mittlerweile in Deutschland. Sie gelten als besonders pflegeleicht und integrationswillig, so dass ihr die Politik keine besondere Aufmerksamkeit schenkt. Bis heute gibt es an keiner einzigen Universität in Deutschland eine Professur für syrisch-orthodoxe Theologie. Auf diese Weise fehlt genau die Kultivierung der aramäischen Kultur, die es ihr ermöglichen könnte, sich in ihrer Verschiedenheit in Beziehung zu unserer westlichen Kultur zu bringen.
Der nicht wissenschaftlich rückgebundene syrisch-orthodoxe Religionsunterricht verschärft an dieser Stelle noch das Problem. Der Religionslehrkräfte können aufgrund ihrer mangelhaften Ausbildung gar nicht dazu in der Lage sein, die aramäische Tradition auf Augenhöhe in den gesellschaftlichen und schulischen Diskurs einzubringen und den eigenen Reichtum zur Grundlage von Beziehungsangeboten in die Mehrheitsgesellschaft hinein zu machen. Auf diese Weise verlieren junge aramäische Christinnen und Christen die Lust auf ihre Religion und assimilieren sich in die bestehenden Großkirchen oder den konfessionslosen Mainstream unserer Gesellschaft hinein. Auch diese Entwicklung scheint mir ein dramatisches Versagen unseres Bildungssystems zu zeigen. Statt zuzusehen, wie die syrisch-orthodoxe Kirche aus ihren Heimatgebieten vertrieben wird und wie sie in unserer Gesellschaft zur Assimilation gedrängt wird, ginge es darum, Ressourcen zu entwickeln, die die Verschiedenheit des aramäischen Christentums als Wert für unsere Gesellschaft und das Miteinander der Religionen sichtbar macht. Auf diese Weise könnte es dann gerade die Besonderheit und Eigenheit aramäischer Identität sein, die Integration und Inklusion ermöglicht, nicht aber deren Assimilation und Marginalisierung.
ZUR PERSON
Klaus VON STOSCH ist seit 2021 Professor für systematische Theologie an der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Theodizeefrage, die komparative Theologie und der Islam.